Für JederMann sofort sichtbar: Ist die Frau auf der anderen Straßenseite ledig oder verheiratet, ist sie arm, bessergestellt oder vermögend, wo wohnt sie, woher kommt sie.
Datenschützer würden heute durchknallen bei so viel ungeschützter personenbezogener Information.
Was Trachtenkleider über die Trägerin erzählen, ausplaudern oder gar petzen.
Die Länge der Haubenbänder zeigen den Wohnort an. Trägt sie eine weiße Schürze, ist sie ledig. Eine schwarze Schürze kleidet eine verheiratete Frau. Und wenn die Weiblichkeit schon unter der Haube ist, müssen Heiratswillige – eine Ehefrau suchende junge Männer – keine unnötige Energie verbrauchen, sondern gleich weitersuchen.
Stickereien am Achselbesatz deuten darauf hin, dass die Trägerin entweder geschickt in feiner Handarbeit ist oder es sich leisten kann, andere für sich arbeiten zu lassen. Trägt sie gar ein Kleid, dessen Goller mit silbernen Walfischhaken befestigt ist, sollte es sich ein junger Mann überlegen, ob er sich so eine Frau überhaupt leisten kann, denn Sach‘ kommt zu Sach‘. Emotionen spielen bei der Brautschau nur eine untergeordnete Rolle. Wenn sich die zukünftigen Eheleute sympathisch sind, langt es vollkommen. Wissen doch alle Beteiligten: „Liebe vergeht – Hektar besteht!“
Wiederhergestelltes Hochzeitskleid von 1730.
Im Jahre 1730 trug eine Urahnin der heutigen Trägerin das wieder erstandene Hochzeitskleid. Rebekka Hogen rekonstruierte das Kleid mit Hilfe ihrer ganzen Familie. Ihre Mutter stickte den Achselbesatz. Aus einer Ulmer Silberschmiede stammten die Jonas-und-der-Wal-Haken. Sie deuten auf eine Verbindung zu einer englischen Adligen hin. Darauf weist auch der rote Rock hin, denn rot war bisher die Farbe der Könige und damit für niedere Stände tabu. Dieser Stoff weist als Besonderheit oben und unten eine andere Struktur auf, was auf eine besondere Webtechnik „Kreuz-Köber“ zurückzuführen ist. Obwohl die eingearbeitete Besenlitze den wertvollen Rocksaum sauber hält, wechselte die junge Ehefrau den Rock nach der Trauung gegen einen grünen Tanzrock.
Praktisch ist die Frau!
Durch die silbernen Haken wird eine Kordel gezogen, damit die Weite sich der veränderten Figur anpassen kann. Das kann bei der Schwangerschaft, zu gutem oder zu schlechtem Essen passieren.
Röcke, Bündchen, Achselbesatz – überall, wo sich die Trägerin bewegt, sind die Teile gestiftelt. Diese Teile sind dadurch beweglich wie eine Ziehharmonika – je nach Tätigkeit ziehen sie sich enger oder weiter.
Der versteckte Sack im Rock enthält Wichtiges oder Kostbares wie Geldbeutel oder Schlüssel. Diese geheime Tasche befindet sich vorn im Rock, zugedeckt durch die Schürze. Tief genug, um all das zu verstecken, was nicht für fremde Augen bestimmt ist.
So schützen sich Frauen lange vor #metoo vor Anmache und sexueller Belästigung.
Neugierige Männerblicke auf ihre intimen Stellen empfanden und empfinden Frauen schon immer als unwürdig bis herabsetzend. Sie schützten sich mit ihrer Garderobe. Ein mit Stoff bezogenes steifes Brett – genannt der Goller – verdeckt den Busen. Und zwar so viel, wie es die Trägerin zulässt, denn er kann beliebig weit hochgezogen werden. Ein nonverbaler Ausdruck für „Nein ist nein!“ Versteift wird der Goller mit einem Walfischknochen. Der Goller schützt die Frau vor den voyeuristischen Blicken der Männer. Wer lässt sich schon gern in den Busen schauen?
Frauen tanzen gern und lassen dabei die Röcke schwingen, erlauben dabei aber niemanden, unter ihren Rock zu schauen. An den weiten Unterrock, der beim Tanzen fliegt, nähen sie einen engeren Rock fest, der genügend Beinfreiheit, aber nicht die Figur darunter freigibt.
Dieser kleine Trick erlaubt ihnen, aus purer Lebenslust zu walzen, ohne sich um die Voyeure kümmern zu müssen.
Diese Eindrücke formten sich am 10. Juni 2018 beim Landesfest des Schwäbischen Albvereins in Kirchheim unter Teck.
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