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✍ Fantasiegeschichte im Umhang, der 24 Stunden unsichtbar macht

Sind Sie als Pendlerin allein unterwegs und langweilen sich? Wie wäre es mit einem Umhang, der unsichtbar macht? Ich sage aus eigener Erfahrung: Das fetzt!!!

Der unsichtbare Mantel von Harry Potter gehört in die Kategorie „ewige Erfindungen“, weil er schon unzählige Nachahmer – genau so wie Vorreiter – fand.
Wer geht schon, wenn auch unsichtbar, in ein 5-Sterne-Hotel, um hinterher mit einem roten Kopf dazustehen???

Fantasiegeschichte im Umhang - strahlende Dame
Dame aus Licht

Erste Erfahrungen mit dem Umhang, der unsichtbar macht

Ich gehe aus dem Haus die Straße entlang. Ich muss aufpassen, denn kein Autofahrer sieht mich, keine Fußgänger oder Radfahrer sehen mich. Rumms, da habe ich schon jemanden angerempelt, weil ich woanders hingeschaut habe. Über das verdutzte Gesicht muss ich derart glucksen, dass die Frau große Augen vor Schreck bekommt und davonläuft. Pardon, das wollte ich nicht. Bloß nicht auffallen.

Nicht Auffallen ist das richtige Stichwort.

Ich habe für 24 Stunden einen Umhang, der mich unsichtbar macht. Was mache ich damit? Was schaue ich mir einmal von Nahem an? Wo komme ich normalerweise nicht hinein?
Ich wäre einmal gern auf einer Opernbühne, wenn gerade gespielt wird. Wie es im Orchestergraben aussieht, weiß ich mittlerweile schon. Wie es in den Umkleidekabinen aussieht, interessiert mich nicht, denn Indiskretion mag ich weder mit noch ohne Umhang.

Erst muss ich unsichtbar nach Stuttgart kommen.

Fantasiegeschichte im Umhang - Passagiere im Stuttgarter S-Bahnhof
S-Bahn kommt angesaust

Das geht immer noch am besten mit der S-Bahn. Hier habe ich eine Monatskarte. Selbst unsichtbar fahre ich nicht schwarz. Ich steige ein und habe doch tatsächlich meinen Lieblingsplatz ergattert. Ein Zweiersitz statt der normalen Vierersitze. Aber eins habe ich nicht bedacht – diese Sitze sind heiß begehrt. Gerade kann ich es noch abwenden, dass sich jemand auf mich draufsetzt. Ich stemme beide Fäuste gegen den stämmigen Mann, der glücklicherweise sportlich genug ist, um sich im Setzen noch zurückschrecken kann. Mit einem „Danke vielmals“ dränge ich mich an ihm vorbei und genieße das verdatterte Gesicht. Diese Gesichtsausdrücke sind wirklich zum Schießen. Mal sehen, wer der oder die Nächste ist.

Unsichtbar, aber hörbar

Ich gehe ganz gemütlich durch den Mittelgang und mache hin und wieder Bemerkungen wie „Füße vom Sitz“ oder „Ein Lächeln steht Ihnen gut“ oder „in der Mathearbeit schreibst du heute eine zwei!“. Diese Aufmunterungen kommen besonders gut an, denn die Angesprochenen haben eher das Gefühl, dass sie laut gedacht haben. Erst schauen sie wie ertappt, dann lächeln sie breit – das macht Spaß.
Schwierig ist es, im Bahnhof die Treppen hoch zu kommen. Mit der Rolltreppe kann ich nicht fahren, denn da werde ich erdrückt. Mit dem Fahrstuhl geht auch nicht aus selbigem Grund. Selbst wenn ich allein fahre, hätte ich Schwierigkeiten, oben heil rauszukommen, wenn noch andere Leute direkt davor stehen. Also marschiere ich die Treppe hoch und muss mich an die Wand drücken, wenn einer besonders schnell die Treppe runtergesaust kommt, um die Bahn noch zu erreichen. Denjenigen, die griesgrämig schauen, raune ich noch ein „ist eh‘ schon zu spät“ zu und blicke in diverse offene Münder – nicht immer ein schöner Anblick.

Unsichtbar, aber kälteempfindlich

Auf der Königsstraße angekommen, merke ich, dass der Umhang mich zwar unsichtbar macht, aber nicht gegen Kälte schützt. Bei diesem eisigen Wetter bin ich schnell durchgefroren. Also schnell zur Oper.
Auf dem Wege komme ich am Fünfsterne-Schlosshotel vorbei. Hier war ich noch nie. Müsste doch warm sein da drinnen. Tatsächlich, kurz am Portier vorbei, durch die Drehtür – Blick zurück und ein verdutzter Livrierter steht draußen und schaut auf die drehende Tür, ohne mich zu sehen. Eine wirklich elegante Halle: Marmorboden, polierte Hölzer und überall Bronzebeschläge, dass es nur so glänzt. Übergroße Sessel mit Lederbezug – Dreißigerjahre Bauhausverschnitt. Die Sitzflächen sind so tief, dass ich mich wie im Liegestuhl fühle. Ein Duft steigt in meine Nase – Kaffee.

Unsichtbar im 5-Sterne-Hotel

Ein Kellner geht mit einem Tablett an mir vorbei und bringt es einem Herrn, der mir vorher gar nicht aufgefallen war. Er sitzt versteckt in einer Nische, allein mit einem Buch. Der Mann ist mir sympathisch, denn ich lese auch gern, und Appetit habe ich auch. Also setze ich mich so hin, dass ich sowohl an den Kaffee und die Sahnetorte komme als auch eventuell mitlesen kann. Der Kellner schenkt den Kaffee ein: „Sahne, der Herr?“ Ein Brummen ertönt, ohne dass der Herr von seiner Lektüre aufschaut. Der Kellner nimmt einen Löffel Schlagsahne aus einem silbernen Schälchen und tupft ihn mit Schwung auf den Kaffee. „Zucker?“ „Nein danke“, sage ich, worauf sowohl der Kellner als auch der vorher unbeteiligte Herr in meine Richtung schauen. Upps, jetzt bin ich diejenige, die mindestens den gleichen Gesichtsausdruck hat wie meine beiden Gegenüber. Die schauen sich an; der Kellner wird rot und verzieht sich, der Herr verlegen und vergräbt sich hinter seinem Buch.

Und ich?

Fantasiegeschichte im Umhang - Glaskristall
durchsichtig – transparent

Ich greife die Tasse mit beiden Händen und wärme mich daran. Den köstlichen Duft atme ich erst tief ein und genieße den ersten Schluck, wie immer mit geschlossenen Augen und einem anschließendem „Ahhh“. Wie gut, dass ich unsichtbar bin, denn so ein weißer Oberlippenbart aus Sahne wäre in dieser eleganten Umgebung sicherlich peinlich. Gerade noch rechtzeitig sehe ich, dass der Herr zwar immer noch in sein Buch schaut, aber mit einer Hand nach der Tasse greift – praktisch blind. Aber da, wo sie sein soll, befindet sich absolut nichts. Mein Wohllaut hat ihn extra aufgescheucht. Er blickt in meine Richtung. Das nutze ich, um die Tasse wieder an ihren Platz zu stellen, und zwar mit einem leisen Plong, damit er sich wieder dem Kaffee zuwenden kann. Ich habe nicht damit gerechnet, dass er so ungeschickt ist und die Tasse umstößt, was wiederum den Kellner herbeiruft, der sofort alles aufwischt. Wo der so schnell hergekommen ist, werde ich noch herausfinden. Also wieder dieselbe Prozedur mit Sahne, ohne Zucker.

Wie funktioniert Unsichtbarkeit in der Praxis?

Da beide jetzt wie angefixt den Kaffee anstarren, fokussiere ich mich auf die Sahnetorte. Ich hätte zu gern gewusst, wann die Torte unsichtbar wird – wenn ich sie in die Hand nehme oder wenn ich sie aufgegessen habe? Schwebt sie etwa in der Luft, bis sie in den Schutz meines Umhangs kommt? Mit all diesen praktischen Fragen habe ich mich vorher nicht beschäftigen müssen, und in ein Paar Stunden ist es vorbei. Probieren geht über Studieren, also greife ich mir den Teller und die Kuchengabel, schiebe mir den ersten Bissen der köstlichen Mango-Sahnetorte mit zartem Biskuitboden hinein und schaue belustigt zu. Kellner und Herr schauen beide auf den Fleck, wo vorher der Teller mit dem Tortenstück stand. Beim zweiten Bissen heben beide den Kopf und schauen sich bewegungslos an. Nach dem dritten Bissen stelle ich den Kuchenteller wieder zurück auf den Platz und stehe lautlos auf. Ich möchte nicht durch mein Glucksen enttarnt werden. Der Kellner nimmt, zwar mit zitternder Hand, aber souverän, den Teller mit dem halben Kuchenstück und kommt nach einer Minute mit einem frischen Kuchenstück wieder, ohne eine Miene zu verziehen.

Überraschung: So ein „feiner“ Herr

Der Herr tut so, als beachte er das nicht, lediglich sein Buch wackelt. Mich interessiert, was er liest. Es sieht nach einem Klassiker aus – sorgfältig in Leinen gebunden, natürlich mit Goldschrift, die ich aber nicht lesen kann. Also stelle ich mich hinter ihn und raune ihm ins Ohr: „Ferkel!“, woraufhin er das Buch fallen lässt und das darin befindliche Pornoheftchen mit Schwung über den Marmorboden rutscht.

Was jetzt kommt, ist mir sehr peinlich.

Fantasiegeschichte im Umhang - durchsichtig wie Glas
verschwommen durchscheinend unsichtbar

Ich schreibe es lieber nicht auf, sondern belasse es Ihrer Fantasie …

Sind sie oft allein unterwegs?
Was wollten Sie schon immer ausprobieren/verändern?
Lassen Sie Ihre Fantasie galloppieren!

Fantasie

  • Die besten Geschichten schreibt das Leben. So auch die denkwürdige Ansprache des Bürgermeisters bei den Sommerlichen Musiktagen in Hitzacker 1971. Der ehemalige (kaiserliche) Luftkurort Hitzacker liegt direkt an der Grenze zur DDR, auf der einen Seite von die Elbe umflossen, auf der anderen Seite geprägt vom bäuerlichen Hinterland. Aus Hannover kommen Musikliebhaber, um hochkarätige Kammermusik […]