Auch wenn der Titel auf die falsche Spur führt: Dieser Roman ist kein Agententhriller, sondern das Psychogramm eines kontaktarmen Enddreißigers namens Kohelet, der zufällig Abteilungsleiter beim Verfassungsschutz in Bremen ist.
Kohelet hat das, was sich viele in seiner Umgebung wünschen. Er wurde kommissarisch als Abteilungsleiter eingesetzt, nachdem sein ehemaliger Vorgesetzter erschossen wurde. Nie hat er sich je um einen Posten beworben, sondern wird immer eingesetzt. Keiner hat wie er zig Tage und Wochen auf Fortbildungsveranstaltungen zugebracht. Nicht, dass er sich darum bemüht hätte. Immer, wenn so eine Fortbildung anstand, musste jemand aus der Abteilung sie besuchen. Kohelet wurde hineinkomplimentiert, weil er sich nicht genügend wehrte. Damit war die Sache für die anderen vom Tisch. Langsam wurde er überqualifiziert – also damit erklärt sich dieser Sprung in die nächste Förderstufe. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger überzieht er seine Vorgesetzten nicht mit Eingaben und Beschwerden, sondern arbeitet still und effektiv vor sich hin. Das qualifiziert ihn zur regulären Beförderung auf diesen Posten.
Kohelet kann auf keine Lobby zurückgreifen, denn seine sozialen Kontakte beschränken sich lediglich auf ein Grüßen auf dem Gang oder in der Kantine. Auch in der höheren Gehaltsstufe geht es weiter wie gehabt. Kohelet bekommt wieder eine Fortbildung aufgebrummt, zur Freude der anderen Abteilungsleiter und seines Chefs, der vermelden kann, dass die Fortbildung wahr genommen wird.
Selbst in den Etatverhandlungen zieht Kohelet den Kürzeren. Es ist unbedingt noch ein Posten von 35.000 Euro für eine neue Teeküche zu vergeben. Wenn dieser Posten nicht abgerufen wird, wird er künftig aus dem Etat gestrichen. Keiner braucht eine neue Teeküche, geschweige denn den Dreck des Um- oder Einbaus, aber Kohelet muss sie übernehmen. Dabei weiß er gar nicht, ob und von wem sie genutzt wird und was sie alles enthalten sollte.
Es muss unbedingt gespart werden, also werden Kohelets Zeitungsabonnements gekündigt. Die aber benötigt er unbedingt, denn dadurch erfährt er, was in seinen Zuständigkeitsbereich fällt. Was nicht in der Zeitung steht, erfährt er vom Wachtmeister. Der kommt viel herum im ganzen Haus.
Verfassungsschutz klingt nach Abenteuer, Action, Aufklärung von staatsfeindlichen Verbrechen, aber Kohelet führt die Abteilung Datenverarbeitung und Berichtswesen. Für ihn ist es die gleiche Arbeit wie für jeden Beamten. Kohelet geht Zahlenkolonnen durch, die vor ihm schon andere geprüft – oder nicht geprüft – haben. Oder er bekommt 3000 Seiten starke Protokolle auf seinen Schreibtisch von Telefonaten, die abgehört werden, wenn ein bestimmtes Stichwort fällt – in diesem Falle „tabula rasa“. Sein Aktenberg bleibt immer gleich hoch, egal, wie viel er arbeitet.
Eigentlich sollte er ein zufriedenes Leben führen, aber das Gegenteil ist der Fall. Er fürchtet sich vor den Wochenenden, die er allein verbringen muss. Kohelet blockt sämtliche Kontaktaufnahmen ab, denn er versäumt es, zu einer Verabredung zu gehen oder versteht nicht einmal die Zeichen eines Flirts. Manchmal kommen ihm Suizidgedanken, weil er in seinem Leben keinen Sinn sieht. Ausgerechnet in dieser Stimmung macht er einen Fehler, der einem Mann mit seinen Fortbildungen nicht unterlaufen sollte. Und ausgerechnet dieser Fehler holt ihn in einer Zeit ein, als er es überhaupt nicht gebrauchen kann.
Dabei geht es nicht dröge zu, denn Christoph Kaupat unterlegt seinen Roman mit Döntjes aus dem Beamtendasein, die nur ein Insider so weitergeben kann.
Agent auf Abwegen, Roman von Christoph Kaupat | Buchwerkstatt Berlin (Februar 2014) | ISBN-10: 3940281476
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