Sie ist zutiefst verletzt, weil er vor 15 Jahren einfach verschwunden ist, ohne Erklärung, ohne vorhergehenden Streit, ohne Abschiedsbrief. Er tut so, als sei er nur kurz zum Zigarettenholen gegangen. Was wird bei diesem Zusammentreffen gegeneinander aufgerechnet?
Sie treffen sich nach 15 Jahren wieder – Zufall?
Als Mathilda vor 15 Jahren an einem ganz normalen Arbeitstag aus der Schule zurückkam, sah sie seinen Schlüssel auf dem Flurkästchen liegen. Sie ging irritiert durch die Wohnung, die zur Hälfte ausgeräumt war. Sein Schreibtisch, sein Bild von der Wand, seine Kleider waren verschwunden. Seine Schreibmaschine samt Papier. Nicht einmal ein Abschiedsbrief war übrig geblieben. 15 Jahre haben sie sich nicht mehr gesehen; 15 Jahre lang hatten sie davor zusammen gelebt. Er ist inzwischen ein bekannter Jugendschriftsteller, der bei einem Schreibwerkstatt-Programm „Schüler/in trifft Autor/in“ für eine Schule ausgelost wird, an der sie als Deutschlehrerin unterrichtet.
Nachdem das Los auf den Schriftsteller und die Schule fällt, setzt der Mailverkehr ein zwischen den beiden. Xaver, der alles schon längst überwunden zu haben scheint – im Gegensatz zu Mathilda – möchte lieber von der Gegenwart als von der Vergangenheit sprechen. Mathilda aber will die Vergangenheit aufarbeiten. So erfahren die Leserinnen, welchen Schock sie zu verarbeiten hatte. 15 Jahre lang ermöglichte sie einem erfolglosen Schriftsteller ein finanziell sorgenfreies Leben. Sie las und begleitete kritisch seine Romane und machte Verbesserungsvorschläge. An seinem Durchbruch, einer Jugendbuch-Trilogie, war sie sogar maßgeblich als Coautorin beteiligt. Just in der Zeit, als Xaver kometenhaft in den Jugendbuch-Himmel aufstieg, verschwand er aus ihrem Leben. Aufgetaucht ist er in Publikumszeitschriften als Gatte einer reichen Hotelerbin. In einer TV-Promiserie wurde über ihr Leben auf einem Biobauernhof berichtet – rundum in freier Natur, zusammen mit ihrem Baby. Ein Baby, das sich Mathilda 15 Jahre lang sehnsüchtig von ihm gewünscht hat, sah sie im Fernsehen. Aber nicht mit ihr als Familie, sondern mit einer anderen Frau.
Xaver möchte lieber von der Gegenwart reden, denn die Ehe ging schnell in die Brüche. Überschattet wurde sie, als der kleine Sohn entführt wurde und nie wieder auftauchte. Auch vermisste er den geistigen Austausch, wie er ihn von Mathilda kannte. Mit ihr besprach er seine Arbeiten, und sie dachten sich immer neue Geschichten aus. Mathilda war dabei meistens die Fantasievollere.
Auch jetzt denkt sie sich Geschichten aus, die das Luftschlossgespenst von Xavers Rechtfertigungen durcheinander bringt. Sie kennt ihn zu gut, um nicht gleich an seiner Mimik und Gestik zu sehen, ob er die Wahrheit sagt oder nicht. Mit ihren Geschichten kitzelt sie ein grausiges Geheimnis aus ihm heraus.
Judith W. Taschler lässt Mathilde ihre Geschichte in einem ruhigen Ton erzählen, bei dem den Leserinnen fast der Atem stockt. Richtig spannend wird es im letzten Drittel des Romans, um dann zum Schluss wieder abzusacken.
Wer aber durchhält bis zum Schluss, sollte lieber Schnieftücher bereithalten. Traurig!
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