Ein Familienstück von Katrin Lange
im Schauspielhaus Stuttgart
Parzival (Jan Krauter) möchte wissen, was hinter den Bergen steckt, woher die Vögel kommen, wohin die Wolken ziehen.
Zwei behelmte Ritter (Boris Koneczny, Markus Lerch), einer davon mit echtem Schmerbauch, und eine Ritterin (Nadja Stübiger ) kommen vorbei auf der Suche nach einem Königssohn, nämlich ihm (das wissen aber nur die Zuschauer). Blechtüren als Schilde, an den Hüften aufgeblasene Rettungsringe wie bei Schwimmneulingen, Stiefel unter Boxershorts. Ritterin Kundry trägt nicht nur ein Röckchen wie ein römischer Gladiator; sie kann auch hervorragend knutschen.
Die Ritter imponieren dem tumben Tor. Er möchte so sein, wie sie sich in ihrem gerappten Werbespot (Musik: Michel Baur) darstellen: „Einer für alle; alle für einen“
Auf geht’s zu neuen Abenteuern
Dafür verlässt er seine Rüben erntende Mutter (Gabriele Hintermaier) und startet seinen sagenhaften Aufstieg zum Retter des heiligen Grals. Bewaffnet mit Harke und Steinschleuder besiegt er erst den roten Ritter (Bijan Zamani) – eine Riesenameise mit Sehschlitzen im Helm (fantasievolle Kostüme: Simone Steinhorst) – und erobert damit dessen moderne Rüstung.
Aber eine Rüstung macht noch keinen Ritter. In einer Ritterburg aus riesigen Legobausteinen (Bühne: Tine Becker) lauert Gurnemanz, der böse Zauberer (Bernhard Baier) mit langen weissem Haar. Er wartet darauf, seinem Feind Amfortas eins auszuwischen.
Nach ausgiebigen Fechtszenen, in denen sich die Speere neonrot und neonblau färben, versetzt Gurnemanz dem Ritter-Azubi den Ritterschlag. Er hämmert ihm noch ein, ja keine Fragen zu stellen, was sich – nicht nur im Märchen – als vollkommen falsch herausstellen soll.
Amfortas, Hüter des Grals
Der aus klaffender Wunde triefende Amfortas (Rainer Philippi) wartet auf ganz bestimmte Fragen: „Wie geht es Dir?“ „Hast Du Schmerzen?“ „Kann ich Dir helfen?“
Parzival stellt diese Fragen erwartungsgemäß nicht und verpasst damit die Chance seines Lebens, die es bekanntlich nur einmal gibt. Die Gralsritter sind sauer, verstoßen ihn. Die Gralsburg fällt mit Getöse und viel Theaterdonner in die Versenkung.
Wendepunkt mit lebendigem Raubvogel
Ein Ritter (Bijan Zamani) in schwarzer Motorradkluft, hoch auf einem knatternden Stahlross mit Stuttgarter Kennzeichen, zeigt ihm den Weg. Als Höhepunkt kommt ein echter Falke quer durch den Zuschauerraum geflogen; setzt sich erst beim Motorradfahrer, dann bei Parzival auf die ausgestreckte Hand.
Parzival spürt das Vogelherz klopfen, macht in dieser Parabel eine Rolle rückwärts und will alles gut machen. Er hat keine zweite Chance, aber er nutzt sie.
Genau in umgekehrter Reihenfolge, in der Parzival die Bühnenhelden vorher besiegte, braucht er jetzt ihre Hilfe. Er kann Amfortas die entscheidenden Fragen stellen. Damit erhält auch der heilige Gral wieder die Kraft und es herrscht Friede auf Erden.
Und wenn sie nicht gestorben sind, dann lebt diese fantasievolle Inszenierung hoffentlich noch lange weiter mit vielen begeisterten Kindern, Jugendlichen, Erwachsenen, Eltern, Großeltern, Tanten, Onkeln, Nichten, Neffen, Cousinen, Freundinnen, Nachbarinnen…
Unter hohem Himmel: Parzival
Ein Familienstück nach den Motiven des Romans von Wolfram von Eschenbach
von Katrin Lange
Schauspielhaus Stuttgart
Regie: André Rößler
Bühne: Tine Becker
Kostüme: Simone Steinhorst
Dramaturgie: Sabine Westermaier
Musik: Michel Baur
Besetzung:
Herzleide, seine Mutter, Königin: Gabriele Hintermaier
Parzival: Jan Krauter
Ritter Gawan: Boris Koneczny
Ritterin Kundrie: Nadja Stübiger
Ritter Trevrizent: Markus Lerch
Ritter, Der fremde Ritter: Bijan Zamani
Jeschute, Dame: Nadja Stübiger
Orilus, Ritter: Bijan Zamani
Sigune, Burgherrin: Gabriele Hintermaier
Gurnemanz: Bernhard Baier
König Anfortas, der Gralskönig: Rainer Philippi
Condwiramurs, Königin: Anne Düe