Joachim Gauck schreibt ein Buch über das Thema Toleranz. Damit hat er Erfahrung – als DDR-Bürger, als Pastor, als Leiter einer Behörde, die den jahrelang von der Stasi unterdrückten Personen Recht verschaffen sollte.
Als Bundespräsident hat er sich um die Verständigung der einzelnen Bevölkerungsgruppen verdient gemacht. Er beleuchtet das Thema von verschiedenen Standpunkten aus und stellt fest, es ist einfach schwer.
Sobald es um (Mit)Menschen geht, betrifft es uns persönlich.
Aus seiner Zeit als Pastor weiß Joachim Gauck, dass reine Theorie nicht ankommt. Ein gelungenes Beispiel – die Gesellschaft in einem Mietshaus – hält dieses Buch wie eine Klammer zusammen. Es könnte auch ein öffentlicher Raum sein wie die Bahn. Alle Parteien müssen miteinander auskommen, aber sie müssen sich weder mögen noch miteinander befreundet sein. Die Mieter brauchen Regeln, an die sich – im Idealfall – alle halten.
Konflikte existieren unterschwellig schon länger. Die alte Dame im Erdgeschoss beschwert sich über die Studenten unterm Dach, die es mit der Nachtruhe nicht so genau nehmen. Sie feiern gern und üben in voller Lautstärke für Rockkonzerte. Das regt auch die übrigen Bewohner im Haus auf.
Die Studenten fühlen sich gemobbt. Zwar sind sie laut, aber nicht die einzigen in diesem Hause. Über den Hund eines Mieters, der auch nachts bellt, regt sich keiner auf.
Die Zeit der Studenten läuft ab, und es folgt eine schöne, friedliche Zeit. Eine Mieterin erweist sich als gute Seele des Hauses, der die anderen Mieter getrost Briefkasten- und Wohnungsschlüssel anvertrauen können, wenn sie in Urlaub fahren. Nur zu einem Mitbewohner wird ihr Verhältnis immer angespannter.
Einem Familienvater gefällt seine Umgebung nicht mehr.
In diesem Stadtteil ist er aufgewachsen. Er sieht überall nur noch Ausländer aus einem anderen Kulturkreis, die sich nicht an Regeln halten. Er bleibt im Haus wohnen, weil sie nahe an seiner Arbeitsstätte ist, aber seine Tochter schult er woanders ein. Nur in der Umgebung mit Deutschen könne aus ihr etwas werden. Mit der türkischen Familie im Stockwerk unter ihm kommt er gut aus, denn das sind seiner Meinung nach ordentliche Leute. Im Dachgeschoss wohnt jetzt ein Grünen-Wähler, der für Pazifismus und Toleranz demonstriert. Er fragt sich, ob er in direkter Nähe zu einem AFD-Wähler überhaupt wohnen bleiben kann.
Dann kommt eine syrische Familie mit zwei Kindern als Nachmieter ins Haus. Der Ingenieur und die Lehrerin sind Asylbewerber. Er hat einen schlechteren Status als seine Frau, die ziemlich schnell dank eines Deutschkurses die Sprache erlernt, Kontakte knüpft und auch schon einen Job als Mitarbeiterin und Übersetzerin in einem Kindergarten erhält. Das zehrt am Selbstbewusstsein des Ehemannes, der seine Felle davonschwimmen sieht – der Sturz vom Paschasessel.
Zeitgenossen zeigen das, was Joachim Gauck theoretisch untermauert.
So wie die Alles-genau-Nehmerin, die ihn darauf hinweist, den Ausdruck „Flüchtling“ nicht mehr zu gebrauchen. Dieses Wort zeigt nur Männer und nicht die Frauen, die genau so von der Flucht betroffen sind. Korrekt ist der Ausdruck „Geflüchtete“…
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